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Fitness+ im Test: Apple legt Stolperstart hin

Zur Apple Watch gibt’s jetzt mit Fitness+ die passende Workout-App. Lohnt die Mitgliedschaft im virtuellen Fitnessstudio?

Fitness+ Menschen
© Apple

Apple Fitness+ hat seit einigen Wochen seine Pforten auch in Deutschland geöffnet. Für 9,99 Euro pro Monat (oder 79,99 pro Jahr) bietet der Dienst eine stattliche Auswahl an Trainingsvideos und dazu ein besonderes Extra: Die Einbindung der Apple Watch (ab Series 3). Wie gut das funktioniert und ob eine Mitgliedschaft im virtuellen Fitnessstudio lohnt, hat IMTEST ausprobiert.

Fitness+: Kombination aus Uhr & App

Der neue Fitness+-Dienst von Apple setzt auf die unkomplizierte Verbindung verschiedener Apple-Geräte, konkret der Apple Watch mit wahlweise dem iPad, iPhone oder Apple TV (Macs merkwürdiger Weise nicht). Bedeutet: Die Smartwatch verbindet sich mit dem Gerät, auf dem das Fitness-Video läuft, und blendet die durch Sensoren gewonnenen Daten (Herzfrequenz, Kalorien, Zeit und Status des Aktivitätsrings) direkt auf dem Bildschirm ein. Falls der Trainer während eines Fitness+-Kurses dazu auffordert, die Herzfrequenz im Auge zu behalten, wird dieser Wert automatisch auf dem Bildschirm hervorgehoben. Weitere Vorteile:

  • Es ist möglich per Watch das Training zu steuern, es also zu starten oder zu pausieren.
  • Bei einigen Sportarten, konkret Laufband, Radfahren und Rudern und HIIT, erscheint auf dem Bildschirm zusätzlich eine sogenannte Burn Bar. Dabei handelt es sich Vergleichsanzeige, die zeigt, wie die Leistung (in verbrannten Kalorien) im Vergleich zu anderen ausfällt.
  • Nach dem Training speichert die Apple Watch das Training automatisch.
  • Es ist möglich, gemeinsam mit bis zu 32 Freunden zu trainieren. Die Funktion nennt sich SharePlay. Dazu startet ein Teilnehmer einen FaceTime-Anruf und teilt anschließend die Trainings-Session über die SharePlay-Schaltfläche.
  • Workouts lassen sich auf iPhone oder iPad herunterladen, und so auch ohne Internetzugang nutzen.
  • Käufer einer Apple Watch erhalten gratis eine 90-Tage-Mitgliedschaft. Lässt sich zum Beispiel einfach in den Einstellungen des gekoppelten iPhones aktivieren.
  • Ein Fitness+-Abo lässt sich mit bis zu sechs Familienmitgliedern teilen.
Fitness+ Startbildschirm
So begrüßt Fitness+ seine Nutzer nach dem Start. Credit: IMTEST

Nach Freischalten des Abo wird Fitness+ Teil der Fitness-App auf dem iPhone, in der Watch-Nutzer sonst ihre täglichen Statistiken, die Resultate von Trainingseinheiten sowie Aktivitätsauszeichnungen abrufen. Der Start eines Kurses ist dann Apple-typisch einfach: Watch anlegen, Kurs aussuchen und loslegen. Das geht schneller, als eine Jogginghose anzuziehen. Zur Auswahl stehen elf verschiedene Trainingsarten: Meditation, Hochintensives Intervalltraining (HIIT), Yoga, Core, Krafttraining, Pilates, Tanzen, Radfahren, Laufband, Rudern und Achtsames Cool-Down. Insgesamt stehen über 500 Trainings zur Auswahl und jeden Monat sollen rund 100 neue dazu kommen.



Fitness+: Auf der Suche nach dem passenden Workout

Womit wir beim ersten Problem wären: Ein passendes Workout zu finden, ist alles andere als einfach. Zwar stehen wie erwähnt verschiedenen Kategorien und obendrein einige Filter bereit, mit dessen Hilfe sich etwa Länge, Musikrichtung und Trainer bestimmen lassen. Genau an dieser Stelle hapert es allerdings:

Punkt 1: Die Kurse lassen sich nicht nach Schwierigkeitsgrad sortieren. Das Niveau eines Trainings lässt sich vorab also kaum einschätzen. Auch was trainiert wird (Ausdauer, Kraft, Intervall) bleibt vorerst ein Geheimnis.

Punkt 2: Ein Geräte-Filter ist zwar vorhanden, dessen Nutzen lässt aber zu wünschen übrig. Ein Beispiel: Sie möchten ein Krafttraining durchführen. Ihnen stehen aber keine Hanteln zur Verfügung, drum möchten Sie mit dem eigenen Körpergewicht trainieren. Geben Sie nun als Gerät „Matte“ an, zeigt Ihnen Fitness+ allerdings auch Workouts an, die „Matte“ und „Hanteln“ voraussetzen.

Da auch die Kurstitel keine Aussagekraft aufweisen („Rudern mit Anja“) gehört es demnach zur Pflichtübung, Beschreibungen zu studieren und Vorschauvideos aufzurufen. Nur so lässt sich herauszufinden, ob ein Kurs das richtige für Sie ist. Das ist lästig.

Fitness+ Filter
Nervig: Obwohl allein “Matte” als Filter ausgewählt ist, zeigt Fitness+ auch Übungen an, die Hanteln erfordern. Credit: IMTEST

Immerhin: In den meisten, übrigens technisch top produzierten Kursen, sind verschiedene Trainer zu sehen, die sich in Bezug auf Alter und Fitnesslevel unterscheiden. Entsprechend gibt es beispielsweise bei den Kraftübungen drei verschiedene Anleitungen: Eine „normale“ Ausführung, sowie eine für Fortgeschrittene und eine für Anfänger. Unabhängig davon sind die Trainer äußerst engagiert, um es freundlich auszudrücken. Die aus deutscher Sicht übertrieben enthusiastische Art, kann je nach Gusto zusätzlich motivieren oder ziemlich nerven. Ein echtes Problem dagegen: Bislang gibt es ausschließlich Videos mit US-amerikanischen Kursleitern. Zwar lassen sich deutsche Untertitel einblenden, doch wer will beim Sport die ganze Zeit Übersetzungen lesen? Immerhin hat Apple angekündigt, künftig auch lokalisierte Videos zu produzieren. Wann es aber in Deutschland so weit ist, steht noch in den Sternen. Ohne gute Englischkenntnisse ist Fitness+ bis dahin kaum zu gebrauchen.

Fitness + Kurs
Gut: Die Übungen präsentiert Fitness+ in drei verschieden anspruchsvollen Varianten. Credit: Apple


Apple Fitness+: Läuft noch nicht rund

Das Apple Fitness+ noch in den Kinderschuhen steckt, zeigt sich zudem an weiteren Stellen:

  • Keine Kopplung mit anderen Sensoren: Fitness+ offeriert eine Reihe von Cardio-Trainingsarten, darunter Radfahren, Laufbandkurse und Rudern, die nach einer bestimmten Ausrüstung verlangen. Da sich Fitness+ aber nicht mit anderen Geräten außer der Apple Watch koppeln lässt, fehlt es an den entsprechenden Messwerten auf dem Bildschirm. Die Rad-Coaches geben zum Beispiel gerne bestimmte Trittfrequenzen vor, die es zu erreichen gilt. Da sich aber kein Trittfrequenzsensor oder Smarttrainer koppeln lässt (im Gegensatz zu Peleton), fällt es mitunter schwer, den Anweisungen zu folgen.  
  • Keine Kopplung mit anderen Sensoren 2: Zwar lässt sich ein Kurs auch ohne Apple Watch absolvieren (wenn zum Beispiel mal wieder der Akku leer ist). In diesem Fall fließen allerdings keine Herzfrequenzdaten ins Training mit ein. Andere Smartwatches oder Bluetooth-Brustgurte mit Pulsmessung lassen sich nicht mit Fitness+ verbinden.  
  • Keine Live-Kurse: Echte Interaktion mit den Trainern? Live-Kurse machen’s möglich. Bei Fitness+ gibt es aber nur vorproduzierte Videos.
  • Keine Trainingsplanung: Einen durchdachten Trainingsplan aufzustellen, um etwa gezielt Muskeln aufzubauen oder Gewicht zu verlieren, bietet der Apple-Dienst ebenfalls nicht. Es gibt zwar „Programme“ mit gebündelten Übungen, die beschränken sich derzeit aber auf fünf Themen.
  • Keine langen Workouts: Selbst die längsten Videos dauern nur 45 Minuten. Ambitionierte Sportler haben sich zu diesem Zeitpunkt gerade einmal aufgewärmt.



FAZIT

Ordentliche Auswahl, zum Teil sehr kompetente Trainer und gut produzierte Videos: Die Kurse machen Spaß. Trotzdem hakt es bei Fitness+ noch an vielen Stellen. Die wichtigste Einschränkung: deutsche Trainer sind noch Mangelware, gutes Englisch ist Voraussetzung. Das ausgerechnet Apple bei der dazugehörigen App schlampt und etwa die Suche nach passenden Kursen zur Nervenprobe ausartet, ist zudem eine Überraschung. Eine Überraschung wäre es allerdings auch, wenn Apple die Fehler nicht früher oder später behebt. Das Potenzial, den Fitness-App-Markt von hinten aufzurollen, ist auf jeden Fall vorhanden.

Nils Matthiesen

Testet als freier Mitarbeiter für IMTEST schwerpunktmäßig IT-Produkte, wie Notebooks und Computerzubehör. Auch Wearables, wie Sportuhren und Ohrhörer gehören in sein Test-Repertoire. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet Nils Matthiesen als Technik-Journalist: Anfangs als fester Redakteur beim Computerverlag Data Becker (u.a. PC Praxis), später als selbständiger Journalist für Verlage wie Axel Springer (Computerbild), Spiegel und Handelsblatt. Neben Technik nimmt vor allem Sport viel Raum im Leben des Familienvaters ein. Sie erreichen ihn via E-Mail.